Stadtgespräch


Wenn man sich intensiv mit einer Frau beschäftigt, lernt man immer etwas

Anita Zieher im Interview

Die gebürtige Oberösterreicherin ist Schauspielerin und Theatermacherin in Wien. Vor zehn Jahren gründete sie das „portraittheater“ und widmet sich seither in ihren Stücken historisch interessanten Frauen wie Bertha von Suttner, Marie Curie oder aktuell Rosa Luxemburg. Mit der StadtSpionin spricht die lebendige Mittvierzigerin über die Hintergründe ihres Porträttheaters, ihre Faszination für starke Frauenpersönlichkeiten und was wir alle von ihnen lernen können.

Anita Zieher, Foto: Stefan LiewehrStadtSpionin: Sie beschäftigen sich als Schauspielerin und Theatermacherin gern mit starken, historischen Frauen. So auch in ihrem aktuellen Stück „Geheimsache Rosa Luxemburg“. Wie kam es zu dieser Form des Porträttheaters?
Anita Zieher: Vor 10 Jahren hatten die Regisseurin Brigitte Pointner und ich die Idee, ein Stück über Hannah Arendt zu machen. Damals waren viele Jubiläen von Mozart bis Freud – zu Männern gab es wahnsinnig viel, zu Hannah Arendt haben wir gar nichts gefunden. So entstand auch die Idee zur Gründung unseres Porträttheaters. Und es ist sehr gut angekommen, dass wir versucht haben, das Leben, das Denken und das Werk einer historischen Person in Form eines Theaterstücks zu vermitteln. Dann haben wir gleich die nächsten Stücke gemacht, etwa über George Sand, Simone de Beauvoir und Bertha von Suttner.
Wie war eigentlich Ihr Einstieg ins Schauspieler/Produzentinnendasein – wollten Sie immer schon zur Bühne?
Ich wollte tatsächlich schon als Kind Schauspielerin werden, bin aber in einer 900 Seelen Gemeinde aufgewachsen, da war der Weg zur nächsten Bühne weit. Mit 18 hab ich mich nicht getraut, zu sagen, ich werde Schauspielerin, deswegen hab ich auch in Salzburg zuerst studiert, Politikwissenschaft und Publizistik. Der Impuls kam dann, als ich schon in Wien lebte, nach einem Aufenthalt in New York, wo ich eine Freundin besucht hab. Die Energie war dort so hoch und strahlte soviel Selbstbewusstsein aus – da bin ich zurück nach Wien gekommen und hab mir gesagt, jetzt probier ichs nochmal, sonst werf ich es mir ein ganzes Leben lang vor. Dann hab ich die Schauspielschule besucht, angefangen Improvisationstheater zu spielen und mit ersten eigenen Projekten begonnen.
Wie wählen Sie die Frauen für Ihre Stücke aus?
Bei der Auswahl der Frauen spielt es eine Rolle, dass es Frauen waren oder sind, die gesellschaftlich etwas Wichtiges geleistet getan haben, und deren Beitrag auch heute noch nachwirkt. Für uns war daher nicht unbedingt Kaiserein Sisi interessant, die find ich persönlich überbewertet. So viele andere Frauen haben Pionierarbeit geleistet und man weiß kaum etwas über sie. Bei „Curie_Meitner_Lamarr“ war es so, dass wir nach den Geisteswissenschaftlerinnen und Philosophinnen etwas über Naturwissenschaftlerinnen machen wollten.
Anita Zieher, Foto: Reinhard Werner
In "Curie_Meitner_Lamarr_ unteilbar" schlüpft Anita Zieher gleich in drei Rollen historische Frauenfiguren
Wie schafft man es als Schauspielerin, drei Persönlichkeiten wie Curie, Lamarr und Meitner an einem Abend darzustellen und klar zu definieren?
Zum einen haben wir versucht, in den vielen Büchern und Biografien von jeder einzelnen ein bestimmtes Bild zu entwickelen, haben nach etwas Interessantem, Auffälligen an der Figur gesucht. Da sind die drei dann auch so unterscheidlich, dass man sich als Schauspielerin überlegen kann, was für einen Charakter, was für einen Gang, was für eine innere Energie jede einzelne hat. Zum Beispiel ist auch so ein kleines Detail wie Schuhe wichtig –  wie schnell oder langsam jemand damit geht, aber auch das individuelle Sprechtempo.
Wie lange braucht es, alles Relevante über eine historische Figur zusammenzutragen und eine Rolle vorzubereiten?
Mindestens ein Jahr. Rosa Luxemburg etwa hat selbst so unglaublich viel geschrieben, und auch über sie gab es jede Menge Texte, das ist extrem viel Material. Die größte Herausforderung ist es, sich zu reduzieren, denn Stoff gäbe es auch für 5 Stunden. Das ist ein sehr spannender Prozess, aber Gott sei Dank sind wir da zu zweit, die Regisseurin Sandra Schüddekopf und ich. Die Textarbeit ist sicher der größte Brocken.
Wie kamen Sie auf Rosa Luxemburg?
Die war nach den Naturwissenschaftlerinnen und Technikerinnen einmal eine Frau aus der Politik, wegweisend in der Arbeiterbewegung. Und auch deswegen spannend, weil sie nicht nur Politikerin war, sondern auch Theoretikerin.
Warum heißt das Stück „Geheimsache Rosa Luxemburg“?
Zum einen, weil es im Leben von Rosa Luxemburg sehr viele Dinge gab, die aufgrund der Zeit, in der sie gelebt hat, geheimgehalten werden mussten. Frauen wurden ja lange von der Politik ferngehalten, durften keinem politischem Verein angehören, und auch Rosa Luxemburg  wurde ja oft deswegen verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, weil sie ihre Meinung öffentlich gesagt oder geschrieben hat. Deswegen schrieb sie viel unter Pseudonymen, versuchte, heimlich etwas zu produzieren oder aus dem Gefängnis raus zu schmuggeln. Sie musste viel im Geheimen tun. Zum anderen haben wir bei der Produktion im Kontakt mit beteiligten Personen festgestellt, dass Rosa Luxemburg auch 100 Jahre später noch polarisiert, dass es nicht heißt, sie war eine verdienstvolle historische Figur, sondern eher „Jaja, des is ja a Kommunistin...“ Womit die Frage aufkam, womit man sich heute noch beschäftigen „darf“.
Anita Zieher, Foto: Reinhard Werner
Im aktuellen Porträt-Theaterstück steht Rosa Luxemburg als einflussreiche und hoch interessante Vertreterin der europäischen Arbeiterbewegung im Mittelpunkt
Was planen Sie nach Rosa Luxemburg?
Es gibt noch keinen konkreten Plan, Ideen gibt es natürlich schon. Da wir so lange an einem Stück arbeiten, ist das schon ein Kraftakt. Und unsere Stücke werden ja nicht nur einmal aufgeführt, sondern länger und auch international, „Curie_Meitner_Lamarr_ unteilbar“ etwa schon im vierten Jahr, und demnächst in der Schweiz und in Belgien, „ Peace Please“ über Bertha von Suttner spielen wir schon das  7. Jahr. Es wird sicher wieder etwas Neues geben, jetzt gilt unsere volle Aufmerksamkeit noch der Rosa.
Welche der von Ihnen porträtierten Figur ist Ihnen am nächsten? Gibt’s eine Lieblingsfigur?
Nein, weil jede Frau auf ihre Weise eine spannende Herausforderung ist. Wenn man sich intensiv mit einer Frau beschäftigt, macht das ja auch was mit einem, man lernt von jeder etwas. Was ich von den Frauen mitgenommen habe, ist in erster Linie diese Hartnäckigkeit und Ausdauer, die vieles überwunden hat, dieser Glaube an das was sie taten. Interessant ist auch, dass sie nicht so eindeutig einzuordnen waren, Arendt, Luxemburg, Beauvoir – alle machten eigentlich mehr, als das wofür sie schubladisiert wurden. So heißt es über Bertha von Suttner, sie wäre eine Adelige gewesen. Ja schon, aber was für eine! Die hat ein extrem spannendes Leben gehabt. Eine Bio ist nie eindimensional, da gibt es so viele Facetten.
Was kann man von diesen starken Frauen lernen?
Marie Curie etwa war eine der ersten Frauen in der Wissenschaft, die gewusst hat, sie muss etwas verkaufen. Die ist zwar überhaupt nicht gern im Mittelpunkt gestanden, wusste aber, es ist notwendig, Fotos zu machen, oder dafür zu kämpfen, die Maßeinheit für Radioaktivität nach ihr zu benennen. Das war der Lise Meitner etwa nicht so klar – weswegen sie, obwohl sie eine derartige Koryphäe in Physik war, in Österreich kaum bekannt ist. Anita Zieher, Foto: Armin Bardel
"Peace Please " über die Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner gehört seit 7 Jahren zum Repertoire des portraitheaters von Anita Zieher

Sie sind in Oberösterreich aufgewachsen, haben in Salzburg studiert und leben jetzt in Wien. Wo ist Ihre Herzensheimat?
Eindeutig in Wien! Das ist einfach eine der lebenswertesten Städte. Sie bietet so viele Möglichkeiten, es gibt so viele schöne Plätze, man ist schnell in der Natur, und es gibt so viele liebe und interessante Menschen. Wenn ich mein ganzes Leben hier verbringen werde, werd ich immer noch Ecken entdecken, die ich noch nicht gesehen habe, auch das gefällt mir so gut an Wien.
Haben Sie einen persönlichen Lieblingsplatz in Wien?
Sehr gern bin ich im Türkenschanzpark, ich hab auch gelesen, dass die Paulinenwarte dort auf einem Kraftplatz steht. Ich liebe die Hügel und die Bepflanzungen dort!
Welche zur Zeit lebende Wienerin hätte das Potential im nächsten Jahrhundert Jahren in einem Theaterstück aufzutauchen?
Die Situation hat sich natürlich geändert, es gibt wesentlich mehr Frauen in allen möglichen Bereichen, die Bewunderung auf sich ziehen. Von der Kunst angefangen, etwa Maria Lassnig, bis Maria Schaumayer in der Wirtschaft oder Johanna Dohnal in der Politik. Die Bandbreite ist jetzt eine viel größere als damals. Meine Hoffung ist, dass wir das in hundert Jahren nicht mehr tun müssen. Dass es nicht mehr notwendig sein wird, Frauen vor den Vorhang zu holen, weil es selbstverständlich ist.

Ines Hofbaur
(Februar 2016)

Fotos
Anita Zieher: Stefan Liewehr
Curie_Meitner_Lamarr: Reinhard Werner
Rosa Luxemburg: Reinhard Werner
Bertha von Suttner: Armin Bardel

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KONTAKT

Anita Zieher
www.anitazieher.at
www.portraittheater.net
           

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