Michelberg

Der Michelberg – Analyse und Interpretation

(die Umsetzung erfolgte gemeinsam mit Architekt Helmut Frötscher)

Eröffnung am Samstag, 27. September 2014

Im Jahr 2010 wurde am Michelberg damit begonnen, die dort vermuteten Kirchenbauten archäologisch zu untersuchen. Ziel der Grabungen war es, die bereits von dem aus Haselbach stammenden Historiker Thomas Ebendorfer (1388–1464) genannten Vorgängerbauten der Barockkirche zu entdecken und möglichst umfassend zu erforschen. Es konnten vier Bauphasen eindeutig festgestellt werden: von einer romanischen Chorquadratkirche mit Westturm über einen spät- oder endmittelalterliche Südturm bis hin zur frühneuzeitliche und barocken Kirche.
Rund um die Kirchenbauten wurden zahlreiche Gräber, vor allem von Kleinkindern gefunden, deren Hintergrund nicht geklärt werden konnte.

Um einen optimalen Schutz der archäologischen Funde zu erreichen, wurde der Originalbestand nach Beendigung der Grabungsarbeiten im Herbst 2013 nach den Vorgaben des Bundesdenkmalamtes wieder aufgeschüttet. Gleichzeitig sollten die Erkenntnisse für Besucher_innen vor Ort sichtbar und nachvollziehbar gemacht werden. Im Zuge eines geladenen Wettbewerbs fiel die Entscheidung für den Entwurf von Stefan Klampfer.

Die Grundidee des künstlerischen Entwurfs von Stefan Klampfer ist eine systematische Gliederung und Darstellung der unterschiedlichen historischen Funde nach ihrem zeitlichen Ursprung. Ein weiteres zentrales Element ist, die besondere Atmosphäre und Schönheit des Ortes nicht zu beeinträchtigen und deshalb möglichst sensibel und zurückhaltend zu agieren.

Die Grundrisse der Barockkirche, der Vorgängerkirchen aus der frühen Neuzeit und dem Mittelalter sowie der Bauten aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges wurden in ihrer tatsächlichen Dimension durch eingefärbte Betonflächen sichtbar und erfahrbar gemacht.
Es entsteht ein begehbarer 1:1-Plan, der die Fundamente bzw. Mauern aufgreift und anhand seiner farblichen Differenzierung die Erkenntnisse der Archäologie und Bauforschung vermittelt. Das Kunstwerk orientiert sich an den tatsächlichen Funden.

Für die Umsetzung wurden Materialien gewählt, die der Gegenwart entsprechen, also unmissverständlich nicht historisierend sind. Zusätzliche Maßnahmen laden zum längeren Verweilen am Michelberg ein: Eine Sitzskulptur, die auch als Podest benutzt werden kann, bietet die Möglichkeit, besser auf das Kunstwerk sowie in die Ferne blicken zu können. Die Holzbänke rund um die bestehende Kapelle wurden durch neue ersetzt.
Jeder dokumentierten Fundnummer der Kindergräber wurde ein in die Erde flach eingelassener Naturstein zugeordnet.

(Presseaussendung, Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich, www.publicart.at)

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Aktualisierung der Situation

Zu Stefan Klampfers Arbeit »Der Michelberg – Analyse und Interpretation«
von Martin Fritz

Die letzten Handgriffe an Stefan Klampfers Arbeit »Der Michelberg – Analyse und Interpretation« erfolgten in der Woche von Sigmund Freuds fünfundsiebzigstem Todestag. Der kalendarische Zufall macht uns noch aufmerksamer für die spezifischen Schichtungen von Erinnerung, die im Zentrum des Werks stehen. Bereits am Beginn stand die – über einen Wettbewerb formulierte – Herausforderung, mit künstlerischen Mitteln auf etwas unsichtbar Gewordenes Bezug zu nehmen. Es war beschlossen worden, die Ausgrabungen verschiedener Kirchenbauten aus Frühneuzeit, Mittelalter und Barock, die in den letzten Jahren vor Ort gemacht wurden, aus konservatorischen Gründen wieder zuzuschütten. Für den Künstler stellte sich damit die – an die Psychoanalyse erinnernde – Aufgabe einen Umgang mit verschütteten Erfahrungen zu finden.

Es traf sich, dass diese Aufgabe auch der Archäologie zukommt, die bereits vor der künstlerischen Intervention ihre eigene Analyse der Vergangenheit vorgenommen hatte. Tatsächlich übernahm Stefan Klampfer, der die Arbeit in Kollaboration mit dem Architekten Helmut Frötscher realisierte, nicht nur im Titel seines Werks die archäologische und psychoanalytische Terminologie von »Analyse und Interpretation«. Auch für seine formale Herangehensweise bediente er sich an den archäologisch ermittelten Grundrissen der früheren Kirchenbauten und somit direkt an den materiellen Erinnerungsspuren. Das Ausgraben und das Zuschütten dienten ihm dabei sowohl als vorbereitende wie auch gestaltende Akte. Metaphorisch und praktisch muss es Künstlern und Künstlerinnen gelingen, Vorgefundenes zu verwerten, nötigenfalls loszuwerden, um zu einer endgültigen Formung zu kommen.

Mit seiner Verfahrensweise ordnet Stefan Klampfer die bauliche Vergangenheit des Ortes und ermöglicht die visuelle Erfahrung einer mehr als tausendjährigen Abfolge baukultureller und religionsgeschichtlicher Ereignisse. Seine Vorgangsweise ist dabei methodisch und nachvollziehbar: Die verschiedenen Ebenen der Ausgrabung wurden in einen Gesamtgrundriss übertragen. Jeder Bauphase des Kirchenbaus wurde eine Farbe zugewiesen. Die Umsetzung des somit gewonnenen Plans erfolgte zweidimensional in Form einer begehbaren, eisenbewehrten Betonplatte. Abweichend von diesem Grundraster markieren Steine die Fundstellen der zahlreichen Kindergräber, die eine der nicht vollständig geklärten Besonderheiten der Ausgrabung darstellen.

Bereits in der farblichen Zusammenfassung von romanischer und mittelalterlicher Kirche, beide in einem Rotton, der sich vom zeitlich späteren »barocken« Gelb absetzt, erlaubt sich der Künstler eine Abweichung von einem rein baugeschichtlichen Vermittlungsprogramm. Doch es ist eine andere Abweichung, die stärker auffällt: Zwei große kreisförmige Strukturen, in Klampfers »1:1 Plan«, in Grau ausgeführt, liegen offensichtlich quer und passen nicht in die ausgewogene Ausrichtung der Kirche. Es handelt sich dabei um die jüngste Ausgrabungsebene: Zwei Betonringe waren als Reste einer Luftbeobachtungsstation der deutschen Wehrmacht aus dem zweiten Weltkrieg am Berggipfel verblieben. Indem Stefan Klampfer von Beginn seiner Beauftragung an Wert darauf legte, auch diese archäologischen Zeugnisse gleichwertig in seine Darstellung zu integrieren – eine Forderung, der sich nach kurzer Nachdenkzeit auch die Archäologen anschlossen – hat er sichergestellt, dass seine künstlerische Analyse nicht die Basis einer weiteren Verdrängung werden kann. Klampfers Arbeit erinnert daran, dass dem Berg historisch nicht nur baugeschichtliche und religiöse Bedeutung zukommt, sondern, dass seine exponierte Lage eben auch für militärische Zwecke des nationalsozialistischen Regimes genutzt wurde. Klampfer fügt damit in einem Bild zusammen, was bisher aus zwei auseinanderliegenden Gedenksteinen zusammengefügt werden musste. Während der eine – nahe dem Parkplatz – nur die Schönheit und kulturgeschichtliche Reichhaltigkeit des Ausblicks besingt, spricht der andere – näher am Gipfel – zwar von den Schrecken des Krieges, ohne jedoch weiter ins Detail zu gehen.

Stefan Klampfers Bild, Skulptur und Intervention macht aus der zugeschütteten Ausgrabung ein Erinnerungsbild, in dem sich nicht nur die Jahrhunderte, sondern auch die Nutzungsformen überlagern. Er weist nicht nur auf Bestehendes unter der Erde hin, sondern er fügt der Kulturlandschaft eine neue Schicht hinzu. Er tut dies selbstbewusst mit einem Material, welches wieder die Jahrhunderte überleben wird. Unweigerlich müssen wir uns die Frage stellen, zu welchen Interpretationen sein Werk Anlass geben wird, sollte sich in ferner Zukunft eine neue Generation von Archäologen dem Michelberg widmen. Wie um die Möglichkeit zu derartiger Reflexion zu fördern, fügte der Künstler seiner Installation noch zwei Elemente hinzu, die beide dem Sehen, dem Denken und dem Verweilen dienen: Eine kleiner Turm aus Betonringen, etwas abseits von der Installation, verschafft die Möglichkeit zur Draufsicht und neue, heutig gestaltete, Bänke treten an die Stelle der alten Sitzgarnituren neben der Kapelle.

Das Werk aktualisiert die vorgefundene Situation und macht sie damit zukunftsfähig. Durch die Zeitgenossenschaft seiner Mittel und die Geistesgegenwart seiner Installation hat Stefan Klampfer die Möglichkeit geschaffen, am niederösterreichischen Michelberg über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nachdenken zu können.

(Schriftfassung einer Eröffnungsrede, gehalten am 27. September 2014.)

(Luftaufnaumen: NÖ Landesarchäologie bzw. Luftaufklärung des Bundesministeriums für Landesverteidigung, Fotos 2 – 25: Claudia Rohrauer)

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